Sekundarstufen
Das Projekt „Erinnern, Gedenken, Versöhnen“ – Ein Zeichen der Hoffnung
Ein Willy Brandt von heute würde sagen: “Wir müssen mehr Begegnung wagen, denn nur durch Annäherung ist ein Wandel möglich”. So eröffneten drei Kollegen der Deutschen Schule Moskau am Mittwoch, den 29.06.16, das von ihnen organisierte Projekt „Erinnern, Gedenken, Versöhnen“, zu dem sowohl der deutsche Botschafter, Rüdiger Freiherr von Fritsch, als auch der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, in die Deutsche Schule Moskau kamen.
Am 22.06.2016 jährte sich der Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion zum 75. Mal. Doch wie erinnern eigentlich Deutsche und Russen an dieses Ereignis und an den Zweiten Weltkrieg allgemein und was hat das überhaupt mit den Schülern im Jahr 2016 zu tun?
Diese Frage stellten sich die Schüler zu Beginn des Projekts „Erinnern, Gedenken, Versöhnen“, welches in diesem Jahr von Herrn Reichel, Herrn Kieschnick und Herrn Karrasch an der Deutschen Schule Moskau organisiert wurde.
Die Idee zum Projekt entstand bereits vor zwei Jahren: Aus einem Tagestrip während der Projekttage 2014 und einer kleinen Reise mit einer Übernachtung in Rshew 2015 entwickelte sich nun diese große Begegnung von drei Schulen aus Bad Salzungen, Moskau und Rshew. Mit beiden Schule, dem Dr. Sulzberger Gymnasium aus Thüringen und der Mittelschule Nr. 12, arbeitete die DS Moskau bereits in mehreren Projekten zusammen und in Rshew spielt gerade der erweiterte Deutschunterricht eine große Rolle.
Das Erinnern an und der Austausch über die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs führten nun am 28.06.16 ca. 50 Schüler aus Deutschland und Russland unter dem Namen „Erinnern, Gedenken, Versöhnen“ zusammen, um neue Freundschaften zu schließen, inhaltich zu arbeiten und sich gegenseitig verstehen zu lernen.
Dienstagabend trafen die Delegationen aus Rshew und aus Bad Salzungen an der Deutschen Schule Moskau ein. Um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und Gemeinsamkeiten herauszufinden, wurden gemischte Gruppen erstellt, ein Gruppennamen ausgedacht und Regeln festgelegt. Bei Spiel und Sport klang der erste Abend nach dem gemeinsamen Essen aus.
Zu Beginn gestaltete sich die Kommunkation aufgrund der Sprachbarriere noch zögerlich und die Schüler der DS Moskau übersetzten fleißig und fungierten als Bindeglied und Brücke zwischen den Gruppen.
Am Mittwochmorgen stand nach dem Frühstück ein erstes Highlight an: Der Besuch des Präsidenten der Russischen Föderation, um das Projekt zu eröffnen.
Bereits vor einigen Wochen hatten die Lehrer eine offizielle Einladung an das Büro des Präsidenten geschickt, doch dass nun tatsächlich darauf reagiert wurde, konnte keiner ahnen.
Die erste Reaktion bei allen Beteiligten war Ungläubigkeit und Überraschung, aber mit Näherrücken des Besuches wurde es immer realistischer. Die Presse mit Kameras, Sicherheitsleuten und Kontrollen machten den Besuch immer glaubwürdiger. Nach einigen musikalischen Einlagen, der Begrüßung durch die Lehrer und der Rede des deutschen Botschafters war es soweit:
Wladimir Putin betrat die Aula, in der alle Versammelten bereits gespannt warteten. Empfangen wurde er mit Applaus und alle hörten aufmerksam seiner Rede zu, in der er die Bedeutung des Projekts hervorhob und die deutsch-russischen Beziehungen als äußerst wichtig bezeichnete.
„Russland und Deutschland haben stets prosperiert, wenn sie zusammengearbeitet haben“, so der russische Präsident.
Im Anschluss an seine Rede, bat er die Schüler nach vorne und er stand ihren Fragen Rede und Antwort.
Dieser Besuch machte die Bedeutung dieses Projekts und des Erinnerns und Gedenkens deutlich, aber war auch ein Zeichen für die Bereitschaft Russlands sich zu versöhnen, nicht nur in Bezug auf den 2. Weltkrieg, sondern auch nach aktuellen Spannungen.
Der Besuch war sicherlich der mediale Höhepunkt, doch inhaltlich war er erst der Anfang des Projekts.
Im Anschluss tauschten sich die Schüler über das Erlebte aus und bereiteten sich für die am Nachmittag angesetzte Stadtführung durch Moskau in den einzelnen Gruppen vor.
Beendet wurde der Tag mit einem Veteranengespräch, für welches Herr Schöningh, mittlerweile schon 97 Jahre alt, extra in die Schule gekommen war, da er am Wochenende zuvor die Feier zum 800. Jubiläum die Stadt Rshew besucht hatte, wo er einst kämpfte. Seit mehr als mehr als zwei Jahrzehnten setzt er sich für die Aussöhnung zwischen Deutschen und Russen ein und hat den Friedenspark in Rshew mit initiiert. Rshew ist ein kleines Städtchen 200km westlich von Moskau, wo eine der blutigsten Schlachten des 2. Weltkrieges tobte, die stellvertretend für den Schrecken und das Leid des ganzen Krieges steht.
Er berichtete über seine Kriegserlebnisse und gab den Schülern mit auf den Weg, sich für Frieden und die deutsch-russische Verständigung einzusetzen, damit sich solch schreckliche Ereignisse nicht wiederholen. Am Donnerstag erarbeiteten die Teilnehmer in einem Workshop die verschiedenen Erinnerungskulturen der beiden Länder Deutschland und Russland, verglichen und bewerteten sie und zogen schlussendlich in unseren Gruppen ein Fazit, wie wichtig Empathie und gegenseitiges Verständnis ist.
Den Nachmittag verbrachten die Schüler bei besten Wetter im Gorki-Park, um die Bekanntschaften zu festigen und Moskau noch besser kennenzulernen.
Am Abend fand ein offenes Grillfest in der Schule statt, wobei jede Schule etwas zur Unterhaltung der Gäste beitrug. Die russische Delegation führte einen Tanz auf und präsentierte ein kurzes Theaterstück auf Deutsch, welches vielen ein Lächeln ins Gesicht zauberte und die Stimmung hob. Von der deutschen Delegation sangen Mari und Nils einige Lieder, anschließend sorgten vor allem Schüler der DSM für musikalische Unterhaltung. Der Grillabend, der auch das Ende der Zeit in Moskau ankündigte, war gut besucht worden und alle Gäste hatten eine schöne Zeit. Viele Eltern und Kollegen trugen etwas zum Büfett bei und unterhielten sich angeregt mit den Gästen. Dies zeigte, wie stark die Schulgemeinschaft der Deutschen Schule Moskau ist.
Direkt nach dem Frühstück war es dann soweit – die Busfahrt nach Rshew stand an und alle warteten freudig, wenn auch etwas verschlafen, im Foyer auf den Bus. In Rshew wurde die Gruppe herzlich von der Direktorin begrüßt und die russischen Schüler gaben uns eine kurze Führung durch ihre Schule. Anschließend ging es zum Ferienlager „Sarniza“, wo für ein Mittagessen vorbereitet worden war.
Auch der Bürgermeister der Stadt Rshew empfing die Teilnehmer des Projekts nach dem Mittagessen in der Bibliothek „Ovstrovskogo“, um uns ebenfalls herzlich willkommen zu heißen und die Wichtigkeit unseres Projekts zu betonen. Als Gastgeschenk bekam jeder von uns ein kleines Taschenbuch zu Rshew und einen Wimpel zum 800. Jahrestag der Stadt, über deren Entstehung und Geschichte der Bürgermeister viel Interessantes erzählte.
Abends wurde gebowlt und die Stadt auf eigene Faust erkundet, bevor es schließlich zur Übernachtung und zum Abendessen in die russischen Gastfamilien ging.
Am nächsten Morgen tauschten sich alle Schüler angeregt über die mehr als herzliche Gastfreundschaft der russischen Familien aus. Erzählt wurde von gemeinsamen Besuchen der traditionellen Banja (Sauna) und vom üppigen Essen.
Danach fuhr die Gruppe zum Friedenspark, auf dem sowjetische und deutsche Soldaten nebeneinander ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Begleitet von russischen Veteranen legten wir Blumen an beiden Gedenkstätten nieder und gedachten den Opfern von Krieg und Schrecken. Emotionaler Höhepunkt war sicherlich das gemeinsame Singen des Liedes: „Sag mir, wo die Blumen sind“ auf der deutschen Kriegsgräberstätte.
Nach einem sehr historisch geprägten Vormittag verbrachte die Gruppe den Nachmittag erneut in dem Ferienlager Sarniza. In dieser freien Zeit war nun im Vergleich zum ersten Tag des Projekts bereits deutlich zu erkennen, dass sich Freundschaften gebildet hatten und Schüler von allen drei Schulen ihr Bestes gaben, um sich zu unterhalten. So versuchten einige Russisch zu lernen, andere Deutsch und wurden dabei von den jeweiligen Muttersprachlern unterstützt und ermutigt. Spätestens während des Grillens an der Wolga verschwand die letzte Zurückhaltung und alle hatten eine tolle Zeit in der russischen Natur. Gesprochen wurde auf Deutsch und Russisch, Englisch, oder einem Mix aus allem, Hauptsache, man konnte sich verständigen. So erschien es den meisten zu früh, bereits gegen 20 Uhr in die Gastfamilien zu gehen und deshalb trafen sich einige noch im kleinen örtlichen Vergnügungspark oder im Café.
Der Sonntag gab den Schülern die Möglichkeit, sich mit einem der Veteranen zu unterhalten und ihm alle Fragen zu stellen. Er schilderte seine Kriegserlebnisse, beantwortete alle Fragen ausführlich und scheute sich nicht, seine ehrliche und direkte Meinung zu sagen. Danach war es leider Zeit, sich von den Schülern aus Rshew zu verabschieden. Obwohl Nummern und Email-Adressen ausgetauscht wurden, fiel der Abschied schwer und einige Tränen flossen.
Die Schüler aus Moskau und Thüringen fuhren mit dem Bus zurück und nutzten den letzten gemeinsamen Abend in Moskau, um im Jugendclub der Schule zu feiern, bevor gegen 01 Uhr am Montag auch von den Bad Salzungern Abschied genommen werden musste.
Die Tatsache, dass um 01 Uhr noch jeder Einzelne von uns da war, um sie zu verabschieden und das keiner ging, bevor der Bus nicht außer Sichtweite war, dürfte für sich sprechen.
Die Auswertung am Montag bestätigte, dass dieses Projekt für alle Beteiligten ein außergewöhnliches und prägendes Erlebnis war. Denn mit diesem Projekt haben wir uns nicht nur erinnert, der gefallenen Soldaten gedacht und einen Schritt zur Versöhnung gemacht, es wurden auch neue Kontakte geknüpft, gelernt, die jeweils andere Sichtweite besser zu verstehen und das eigene Denken infrage zu stellen.
Auch wurde deutlich, welche Brückenfunktion deutsche Schulen im Ausland einnehmen können. Das Verständnis beider Sprachen, Kulturen und Denkweisen kann Menschen aus beiden Ländern zusammenführen und Freundschaften entstehen lassen. Und so kann auch ein vermeintlich kleines Schülerprojekt auf einmal ungeahnte politische Dimensionen bekommen.
Vielen Dank an alle, die dieses Projekt ermöglicht und unterstützt haben, besonders auch an Frau Rosinskaya aus Rshew.
Die Projektgruppe unter der Leitung von Herrn Reichel, Herrn Kieschnick und Herr Karrasch
Das Projekt fand auch in zahlreichen deutschen und russischen Medien große Beachtung:
Erklärung des Außenministers Frank-Walter Steinmeier:
http://www.germania.diplo.de/Vertretung/russland/de/__pr/mosk/steinmeier-projekttage-dsm-290616.html